MY BODY MY CHOICE 2010 – AUFRUF

Die christlichen Fundamentalist_innen von „Euro Pro Life“ (im „Mutterhaus“, Westendstraße 78) um ihren Vorsitzenden Wolfgang Hering planen für den 30.10.2010 erneut einen „1000-Kreuze-Marsch“ durch München. Dabei wollen sie der „Kinder“ gedenken, die in Deutschland abgetrieben werden. Das Leben der Frauen interessiert sie nicht.

strukturen der „lebensschützer“

Die Abtreibungsgegner_innen werden vor allem von der katholischen Kirche und von evangelikalen Gruppen innerhalb und außerhalb der „Evangelischen Kirche Deutschlands“ unterstützt. Zu diesen sogenannten „Lebensschützern“ gehören neben regionalen Gruppen wie „Aktion Leben e.V.“, „Aktion Lebensrecht für alle“ auch Organisationen wie die „Europäische Ärzte Aktion“ oder die „Juristische Vereinigung Lebensrecht“. Abtreibung ist für sie durch nichts gerechtfertigt und ein „Eingriff in Gottes Plan“. Dabei berufen sie sich auf die biblische Schöpfungsordnung mit „Adam und Eva“, eine strikt zweigeschlechtliche Ordnung, die Heterosexualität als Norm festsetzt und „Eva“ eine rein auf Reproduktion beschränkte Rolle zuschreibt. Dieses Weltbild bildet das Fundament ihrer frauenfeindlichen, homophoben und rassistischen Ideologie.
Die selbsternannten „Lebensschützer_innen“ haben keinerlei Berührungsängste mit rechten und rechtskonservativen Akteur_innen. Das „Manifest gegen den Linkstrend“ wurde von dem Vorsitzenden des „Bundesverbands Lebensrecht“, Martin Lohmann, als einem der Ersten unterzeichnet. Neben der Forderung nach „konsequentem Lebensschutz“, welcher das komplette Verbot von Abtreibung meint, wenden sie sich darin gegen „Geschlechterumerziehung“ und „Gefahr durch Islamisierung“. Die Petition wurde initiiert aus dem Graubereich zwischen rechtem CDU-Flügel und der „Neuen Rechten“. Der Aufruf wurde u.a. von Dr. Klaus Hornung, Kolumnist der völkisch-nationalistischen Wochenzeitung „Junge Freiheit“, sowie dem Ex-CDU-Politiker Rene Stadtkewitz unterzeichnet, der zuletzt die rechtspopulistische Partei „Die Freiheit“ mitbegründete.
In ihren reaktionären und menschenverachtenden Ansichten scheuen die Abtreibungsgegner_innen nicht davor zurück, Abtreibung mit den nationalsozialistischen Morden zu vergleichen. Der Berliner „Bundesverband Lebensrecht“ warb dieses Jahr auf dem Plakat für den Berliner „1000 Kreuze-Marsch“ unter anderem mit dem Slogan „(…) für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“. Immer wieder verunglimpfen sie Abtreibung mit holocaustrelativierenden Begriffen wie „Babycaust“ oder „größter Völkermord der Geschichte“. Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, werden als „Mörderinnen“ diffamiert.
Auch mit offen neonazistischen Gruppierungen scheinen die „Lebensschützer“ kein Problem zu haben. Im Jahr 2008 „zelebrierten“ sie in München ihre reaktionäre, frauenfeindliche und heterosexistische „Gedenk“veranstaltung gemeinsam mit Neonazis. Darunter waren zum Beispiel der inzwischen wegen schwerer Körperverletzung inhaftierte Münchner Kameradschaftsaktivist Philipp Hasselbach, Stadtrat Karl Richter von der BIA (Bürgerinitiative Ausländerstopp) und Karl-Heinz Statzberger. Statzberger war 2003 an der Planung eines Bombenattentats auf die Grundsteinlegungsfeier des Jüdischen Zentrums am Jakobsplatz in München durch die Wiese-Gruppe beteiligt.

gesellschaftliche relevanz

Doch nicht nur Neonazis und religiöse Fundamentalist_innen teilen solche völkischen und frauenfeindlichen Einstellungen. Sie sind ein Ausdruck einer antifeministischen Debatte der Mehrheitsgesellschaft über Bevölkerungspolitik. Das Beklagen von angeblich mangelndem Nachwuchs in so genannten „gebildeten“ Milieus im Gegensatz zu sozial schwächeren oder migrantisch geprägten Milieus ist nicht nur rassistisch und elitär. Die Selbstbestimmung der betroffenen Frauen wird völlig missachtet. Sie werden zu „Gebärmaschinen“ degradiert. In der „Demographiedebatte“ geht es um den Zusammenbruch des Staates und die angeblich drohende Gefahr der Unterwanderung. Eine „ethnisch homogene“ Bevölkerung und die Reproduktion seiner „Elite“ sind die erklärten Ziele. Frauen werden instrumentalisiert und es wird versucht, sie dazu zu bringen, die gesellschaftlich gewünschte Anzahl von Kindern zu produzieren.
Einer feministisch-emanzipatorischen Po si tion hin gegen geht es um die Mög lich keit von Frauen, selbst zu be stimmen, ob und wann sie wie viele Kin der be kommen möchten. Es gilt aber zu bedenken, dass Ent scheid ungen immer auch unter den Rah men be ding ungen ge sell schaft licher Re pro duk tions ver hält nisse ge troffen werden. Dazu ge hören ne ben §218 auch Ar beits markt vor aus setz ungen, steu er liche Re gel ungen wie das Ehe gat ten split ting und Fa mil ien politik wie Kin der geld und Kin der gar ten plätze. Selbst be stimmung ist auch eine Fra ge des Geld beutels. So ist beispielsweise in den Hartz-IV-Sätzen nach wie vor kein Pos ten für Ver hü tungs mittel vorgesehen.

gesetzliche lage

Zusätzlich zu bestehenden moralischen und ökonomischen Hürden ist ein Schwangerschaftsabbruch in der BRD immer noch eine Straftat. Lediglich nach einer Zwangsberatung ist er unter Umständen straffrei. Im Mai letzten Jahres wurde zudem im Bundestag die Verschärfung der §218 und §219 StGB zu Schwangerschaftsabbrüchen beschlossen. Seitdem muss auch nach dem Ausstellen der medizinischen Indikation für einen Abbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche eine „Bedenkzeit“ von 3 Tagen eingehalten werden. Diese aufgezwungene Wartezeit ist zusätzlich zu dem gesellschaftlichen Druck eine weitere Gängelung für die betroffenen Frauen. Den ausstellenden Ärzt_innen drohen nach dem neuen Gesetz bei Verfahrensfehlern bis zu 5000 € Bußgeld. In vielen Gegenden in der BRD gibt es überhaupt keine Ärzt_innen, die Abbrüche durchführen. Darüber hinaus erschwert das „Werbe“verbot für Abtreibungen Frauen den Zugang zu Informationen über Beratungsstellen und Ärzt_innen, die Abtreibungen vornehmen. Deshalb ist die derzeitige Gesetzeslage alles andere als hinnehmbar und der Kampf der Frauenbewegung für den freien Zugang zu Abtreibungen noch nicht gewonnen. Solange Frauen keinen freien Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen haben, können sie keine Kontrolle über ihre reproduktiven Fähigkeiten erlangen und bleiben im Bereich der Sexualität den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen ausgeliefert. §218 gehört ersatzlos gestrichen! Die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung sollen Frauen selbst treffen können, ohne Druck oder Bevormundung durch Partner_innen, Angehörige, Ärzt_innen, die Kirche oder den Staat!

der widerstand wird stärker

Seit 2008 gibt es eine sichtbare Gegenbewegung gegen die „Kreuzzüge“ der christlichen Abtreibungsgegner_innen. Zusätzlich zu den Kundgebungen und Demonstrationen kam es dabei in München in den vergangenen beiden Jahren zu vielfältigen bunten und kreativen Aktionen. Im Vorfeld der 1000-Kreuze-Märsche wurde in diesem wie auch in den vergangenen beiden Jahren das Münchner „Lebenszentrum“ in der Westendstraße entglast. Jedes Jahr gab es auch antisexistische Sprüh-Aktionen. Die Aufmärsche der Abtreibungsgegner_innen und Nazis wurden von pinken Riesenkondomen und vielen lauten Aktivist_innen in bunter Verkleidung mit Transparenten, Trillerpfeifen und feministischen und antisexistischen Parolen begleitet, gestört und behindert. Wiederholt wurden die „Lebensschützer“ mit einem wahren Kondomregen bedacht. Darüber hinaus schafften es unauffällig gekleidete Gegenaktivist_innen in den Marsch. Eine Gruppe spannte beschriftete Regenschirme auf, andere küssten sich wild durcheinander und riefen Parolen. In den vergangenen Jahren flogen in München und Berlin Kreuze in die Isar und die Spree. Inzwischen kann der 1000-Kreuze-Marsch nur noch unter massivem Polizeischutz durchgeführt werden, so dass Passant_innen den Eindruck bekommen, es müsse sich um einen Naziaufmarsch handeln. Die beabsichtigte Öffentlichkeitswirkung dürften diese Aufmärsche gründlich verfehlen.
Auch in diesem Jahr wollen die „Lebensschützer“ einen weihevollen Trauermarsch veranstalten. Sie kommen in schwarz und in trüber Stimmung. Nichts stört sie dabei mehr als fröhliche, laut schreiende, rumknutschende, lustige Menschen mit kreativen Ideen. Mensch darf gespannt sein, wie sich die erfolgreichen Aktionen der letzten Jahre in diesem Jahr noch steigern lassen!

Termine im Vorfeld
Info-Vortrag
Der Kampf um das Recht auf Abtreibung, die „Lebensschützer“ und der Widerstand gegen deren Märsche
mit Filmvorführung „Meine Entscheidung“, 30-minütige Dokumentation von Janina Heckmann und Gitte Hellwig, in der Frauen von ihren persönlichen Erfahrungen um Schwangerschaftskonflikt und Abtreibung erzählen.
Montag, 18. Oktober, 19:30 Uhr in der Ligsalz8, München
Dienstag, 19. Oktober, 20 Uhr im Cafe DeCentral, Innsbruck
Mittwoch, 20. Oktober 19 Uhr im Infoladen Salzburg
Donnerstag, 21. Oktober 19:30 Uhr in der Kofra, München
Mittwoch, 27. Oktober, 20 Uhr im Kafe Marat, München

Am 30. Oktober

Bereits am morgen wollen die „Lebensschützer“ einen Vortrag mit dem Titel „Die Wurzeln der Abtreibungsideologie und ihre Folgen für Westeuropa“ veranstalten. Dabei soll „der Nachweis erbracht [werden], dass die Abtreibungsideologie „heute“ und jene der Nazi-Ideologie auf dieselben philosophischen Wurzeln zurückzuführen sind.“
Der Vortrag soll um 10 Uhr im CVJM-Haus (Landwehrstraße 13) stattfinden.

Der „1000-Kreuze-Marsch“ soll um 14:30 Uhr am Sendlinger-Tor starten und soll gegen 17:30 Uhr enden.

Daneben rufen sie auch zur Teilnahme an 2 „Heiligen Messen“ auf:

12.00 Uhr Bürgersaal-Kirche / Neuhauser Straße (nahe Karlsplatz)
17.30 Uhr Dom oder St. Kajetan (Theatinerkirche) / Odeonsplatz

Die Kundgebung MY BODY MY CHOICE findet ab 11 Uhr am Rindermarkt statt.

Am Abend könnt ihr dann ab 17 Uhr ins AfterAction Café in die Ligsalz8 kommen.

Überlegt euch, was ihr an diesem Tag machen wollt und könnt. Bildet Banden!
Für Tipps, Tricks und als guten Ausgangpunkt für eure Planungen empfehlen wir die Lektüre des Bezugsgruppenreaders.

Nachdem im vergangenen Jahr Menschen mit Kostümierungen (bzw. Menschen die sich außerhalb einer „optischen Norm“ bewegt haben) des öfteren von der Polizei kontrolliert wurden, könntet ihr auch darüber nachdenken, kleidungsmäßig flexibel zu sein.

Die Nummer des EA lautet (089) 4 48 96 38.
Dazu empfiehlt es sich, auch einen Blick auf das Demo 1×1 zu werfen.

http://asabm.blogsport.de/special/